Argumentieren unter Stress by Albert Thiele
Klappentext: „Unfaire Angriffe, unsachliche und aggressive Argumentations-techniken haben in wirtschaftlich angespannten Zeiten Konjunktur. Albert Thiele, einer der führenden Präsentations- und Dialektiktrainer Deutschlands, zeigt, wie man sich dagegen wehren kann. Schließlich sind Schlagfertigkeit und Stress-Resistenz wichtige Voraussetzungen, um eigenen Interessen und Karriereziele zu verwirklichen. Mit umfangreichem Übungsteil.“
Albert Thieles „Argumentieren unter Stress“ ist ein sehr profundes und gut strukturiertes Werk. Neben allgemeinen Grundlagen der Dialektik, finden sich auch „Strategien für spezielle Stress-Situationen“, so beispielsweise für Besprechungen, Diskussionen, Kritikgespräche, Verhandlungen, Auftritte in Funk und Fernsehen und Präsentationen. Das Buch wird durch einen Trainingsteil mit einigen Basisübungen abgerundet.
Sein Buch ist reich an Beispielen, was sowohl Verständlichkeit als auch Leserlichkeit erhöhen. Es enthält zudem einige Checklisten und Fragebögen, die in diversen dialektischen Situationen eine hilfreiche Anregung sein können. Weiters greift er auf viele altbewährte Methoden zurück, wie beispielsweise auf die ETHOS-Methode, die ABC-Methode, den Fünfsatz, das Johari-Fenster oder das Harvard-Konzept. Die wissenschaftliche Fundierung hätte besser gelingen können, aber man muss an dieser Stelle fair bleiben. Es ist ja immerhin ein praktischer Leitfaden und keine wissenschaftliche Monographie. Zudem enthält das Buch ein Literaturverzeichnis, welches die gröbsten Verweise abdeckt. Letztlich sei auf den gelungenen Trainingsteil hingewiesen, welcher der interessierten Leserin bzw. dem interessierten Leser einige in der Praxis erprobten Basisübungen zur Verfügung stellt.
Mir persönlich hat Thieles Hinweis darauf, dass die von ihm vorgeschlagenen Abwehrstrategien zur Persönlichkeitsstruktur des Anwendenden passen müssen, sehr gut gefallen. Dass dieser Aspekt alles andere als banal ist, lässt sich immer wieder an einzelnen Seminarbeschreibungen diverser RhetoriktrainerInnen erkennen. Besonders hervorzuheben ist der von ihm auf Seite 21 seines Buches aufgestellte Pranger für Seminare oder Bücher, welche ausschließlich Schlagfertigkeitstechniken vermitteln. Er schreibt dazu: „Seminare oder Bücher, die bloße Schlagfertigkeitstechniken vermitteln, greifen zu kurz. Die praktischen Anwendungssituationen sind zu komplex und vielfältig, um witzige und schlagfertige Retourkutschen schematisch einsetzen zu können. Auf Killerphrase eines Geschäftsführers, eines wichtigen Kunden oder eines Journalisten werden Sie anders reagieren müssen als auf unsachliche Spielarten in der politischen Auseinandersetzung oder im privaten Bereich. Nur schlagfertig zu sein, ist also in vielen Situationen zu wenig: Ein Dialektiktraining für schwierige Szenarien sollte einerseits darauf abzielen, sich vor Beleidigungen, Polemik und Rabulistik zu schützen und einem mentalen ‚Schachmatt-Effekt‘ entgegenzuwirken.“ Meines Erachtens trifft er mit seiner Warnung ins Schwarze, auch wenn er sich dadurch Matthias Pöhm (als Beispiel sei hier Matthias Pöhm mit seinem Werk „Das NonPlusUltra der Schlagfertigkeit: Die besten Techniken aller Zeiten“ herausgegriffen) und Konsorten nicht zu Freunden machen wird.
Leider kann ich das Werk nicht gänzlich ohne Kritik davonkommen lassen. Als mittlerweile erfahrener, weil seit vielen Jahren trainierender Karateka und Aikidoka, stoßen mir seine teilweise recht platten Vergleiche zu dieser sehr hohen, traditionellen Japanischen Kampfkunst sauer auf. Ich habe versucht Thieles Lebenslauf zu recherchieren, leider jedoch ohne Erfolg. Ich kann somit nicht feststellen, ob er diese Kampfkunst selbst betreibt oder nicht. Auf Grund seiner etwas unreflektierten und pauschalen Aussagen zu dem wahrscheinlich von ihm erfundenen „Argumentations-AIKIDO“ tendiere ich eher dazu anzunehmen, dass er diese Kampfkunst nicht aktiv betreibt. Ein Schüler oder gar Meister des Aikido, würde in meinen Augen nicht so platt über diese Kampfkunst schreiben. Sehr schade in Anbetracht des ansonsten sehr gelungenen Werks. Es muss allerdings festgehalten werden, dass dies nur ein kleiner Hinweis am Rande sein soll.
Das Werk erhält von mir keine vollen fünf Sterne und ist in meinen Augen kein unabdingbares „must read“. Ein Grund liegt darin, dass Thieles Werk schlicht und ergreifend nichts Neues enthält. Thieles Buch ist zwar gut strukturiert und sehr lesenswert, enthält aber weder neue Inhalte, noch eine neue, bis dato unbekannte Zusammenstellung altbewährter Inhalte. Fortgeschrittene werden in seinem Buch keine Aha-Erlebnisse erfahren. Ein weiterer Grund besteht darin, dass einige Beispiele, durch welchen die Verwendung seiner Abwehrtechniken verdeutlicht werden sollten, recht lahm sind. Auch die Schlagfertigkeitsbeispiele überzeugen nur teilweise. Zudem ist es schade, dass er darauf verzichtet, Beispiele und Situationen aus der realen Alltagswelt einzubinden. So lobt er beispielsweise auf Seite 199 die Medienkompetenz Schröders, Fischers, Gysis, Genschers und Schäubles als Könner der „Blocken, Überbrücken und Kreuzen“-Technik, verweist jedoch nicht auf konkrete TV-Auftritte. Ein Seminartrainer in den Bereichen Dialektik und Rhetorik muss im Zuge seiner Tätigkeit zwangsläufig zahlreiche Diskussionsrunden und Interviews analysieren. Es wäre für Thiele ein Leichtes gewesen, auf konkrete Praxisbeispiele (Fernsehdebatten, Interviews oder Gesprächsrunden) hinzuweisen.
Fazit: AnfängerInnen und leicht Fortgeschrittene, welche vorwiegend an den praktischen Aspekten der Disziplinen Dialektik und Rhetorik interessiert sind, halten mit Thieles Werk einen gut strukturierten, wissenschaftlich fundierten Praxisleitfaden in der Hand. Fortgeschrittene werden keine Aha-Erlebnisse erfahren, vielleicht allerdings dennoch eine neue Perspektive auf Altbewährtes erhalten. Das Buch kann guten Gewissens empfohlen werden.
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